Dr. Jenny De la Torre Castro
Foto: Dr. Jenny
De la Torre Castro
Helfen, heilen und pflegen, jenen zur Seite stehen und ihre Schmerzen
lindern, die es am nötigsten brauchen - das wollte Dr. Jenny De la Torre Castro,
so lange sie denken kann. Als Kind schon wurde sie mit Armut und sozialer
Ungleichheit konfrontiert. In ihrem Heimatort Puquio in Peru gab es zu wenig
Ärzte, um all das Leid und die vielen Krankheiten zu lindern.
Deshalb wollte sie Ärztin werden. Fern ihrer peruanischen Heimat studierte sie
in den achtziger Jahren in Deutschland Medizin mit dem festen Willen,
zurückzukehren, um den Ärmsten der Armen in ihrem Land zu helfen.
Es kommt anders. Jenny de la Torre Castro kehrt erstmal nach Peru zurück ohne
Erfolg. Wieder in Deutschland beginnt sie 1983 ihre Facharztausbildung als
Kinderchirurgin an der Berliner Charité der Humboldt-Universität, heute Campus
Virchow-Klinikum. Nach erfolgreicher Facharztabschluss und Promotion kehrt sie
mit ihrem Sohn erneut zurück nach Peru und wieder ohne Erfolg. In Berlin
arbeitet sie an verschiedenen Kliniken in Deutschland und Österreich. In Berlin
widmet sie sich einem Projekt für Schwangere und Mütter in Not.
Sie ist eine erfolgreiche Ärztin und kann vielen Patienten helfen, aber das
reicht ihr nicht. Der Medizinbetrieb ist unbarmherzig. Von Fachärzten wie ihr
wird verlangt, Patienten nach höchstem medizinischen Wissensstand zu behandeln,
möglichst ohne Fehlerquote und vor allem schnell. Für Gespräche und Kontakte
bleibt da kaum Zeit. Jedes Wort außerhalb der medizinischen Indikation ist zu
viel. Es warten ja schließlich viele andere Kranke auf ihre Behandlung. Dr.
Jenny De la Torre Castro möchte aber mehr. Sie will nicht nur perfekt operieren.
Sie will auch selbst sehen, wie ihr Patient sich erholt. Fragen, ob er alles gut
überstanden hat und für ihn eine Vertrauensperson sein. Sie weiß zu diesem
Zeitpunkt noch nicht, dass sie bald die Möglichkeit hat, diese Vorstellungen vom
Arztsein umzusetzen.
Helfen auf dem Berliner Ostbahnhof
1994 beginnt die Medizinerin auf dem Berliner Ostbahnhof, obdachlose Menschen zu
behandeln. Sie untersucht täglich etwa 25 Patienten, versorgt mit einfachen
Mitteln Wunden, Verletzungen und Geschwüre, lindert Schmerzen und verteilt
notwendige Medikamente. Neben Hautkrankheiten, wie der sogenannten „Schleppe“,
die fast jeder irgendwann bekommt, der auf der Straße lebt, sind es vor allem
Parasiten, offene Beine und chronischer Alkoholismus, die Obdachlose quälen. Der
Einsatz verlangt von ihr starke Nerven und viel Fingerspitzengefühl. Vor allem
der Umgang mit alkohol- und suchtkranken Menschen, der Dr. Jenny De la Torre
Castro zunächst nicht leicht fiel. Aber schließlich sagte sie sich: Man muss die
Menschen annehmen, wie sie sind. Sie haben sich dieses Leben schließlich nicht
ausgesucht. Jedem Patienten, der in ihre Praxis kommt, hört sie geduldig zu,
nimmt sich Zeit und schafft so Vertrauen. Das brauchen obdachlose Menschen ganz
besonders, weiß die Ärztin aus Erfahrung, denn sie sind „sozial krank“.
Die engagierte Medizinerin kämpft gegen bürokratische Hürden. „Eine
Gesellschaft, die so reich ist, wie die deutsche, muss es sich einfach leisten,
sich um die Ärmsten zu kümmern.“
Ihre Beharrlichkeit und Zuverlässigkeit haben Erfolg. Die obdachlosen Patienten
akzeptieren "ihre" Frau Doktor. Viele kommen mittlerweile regelmäßig zu ihr.
Doch am glücklichsten ist sie, wenn ein Patient nach langer Zeit zu ihr kommt –
auf Besuch, weil er von der Straße weg ist und wieder ein selbständiges Leben
führt. Denn wirklich geheilt werden kann ein Obdachloser nur durch die
Gesellschaft, wenn sie ihm neue Perspektiven und einen Ausweg aus dem Elend
bietet.
Innerhalb der Ärzteschaft erfährt der Einsatz der Kollegin mehr und mehr
Anerkennung. Fachärzte bieten ihre Hilfe an und behandeln wohnungslose Patienten
in ihrem Spezialgebiet weiter. Europaweit wird das auf der ganzen Welt einmalige
Projekt einer Obdachlosenpraxis zunehmend ernst genommen. Junge Medizinstudenten
und Auszubildende in medizinischen Berufen besuchen die Einrichtung, um von den
hier gesammelten Erfahrungen zu lernen.
Dr. Jenny De la Torre Castro gibt gern ihr Wissen weiter, hält Vorträge an
Universitäten, Bildungseinrichtungen und auf Benefizveranstaltungen. Sie sammelt
Spenden, um die Ausstattung der Praxis zu verbessern. 1997 erhält die Ärztin für
ihre außergewöhnlichen Leistungen das Bundesverdienstkreuz aus den Händen des
Bundespräsidenten Roman Herzog.
Erster Jahrestag der Jenny De la Torre Stiftung
Im Dezember 2003 feierte die „Jenny De la Torre Stiftung“ in Berlin ihren ersten
Geburtstag. Sie war vor einem Jahr mit dem Ziel gegründet worden, die
medizinische Hilfe und Betreuung für obdachlose Menschen in Berlin langfristig
abzusichern.
Nach diesen Erfolgen trifft es sie besonders hart, als ihr Arbeitgeber, die MUT
– Gesellschaft für Gesundheit mbH, Tochterunternehmen der Berliner Ärztekammer,
ab Oktober 2003 ihre Vollzeitstelle von 40 auf 25 Wochenstunden reduziert. Dr.
Jenny De la Torre Castro kann das nicht akzeptieren. Sie beendet im Interesse
ihrer Patienten ihr Arbeitsverhältnis mit der MUT. „Ich habe das Projekt
aufgebaut und stehe nicht zur Verfügung, wenn es nun zusammengekürzt wird.“ Für
ihre Patienten ist dieser Schritt zwar nachvollziehbar, aber ein schwerer
Verlust. Dr. Jenny De la Torre Castro blickt trotzdem voller Zuversicht in die
Zukunft. Für sie ist das nicht das Ende, sondern der Anfang eines neuen
Projekts.
Quelle: Porträt der Botschafterin für das Verbundnetz der Wärme Dr. Jenny De
la Torre Castro 2004, entnommen der Website www.verbundnetz-der-waerme.de,
überarbeitet und ergänzt im März 2014.
Kurzvita
1954 |
Geboren in Nazca (Peru) |
1973 – 1976 |
Medizinstudium an der Universität „San Luis Gonzaga de Ica“- Peru
|
1976 |
Delegierung zum Auslandsstudium in die DDR |
1977 |
Medizinstudium an der Karl-Marx-Universität Leipzig |
1982 |
Examen an der Karl-Marx-Universität Leipzig |
1983 – 1990 |
Facharztausbildung an der Charité (Berlin) zur Kinderchirurgin |
1990 |
Promotion Dr. med. mit summa cum laude |
1991 |
Gastärztin Landeskrankenhaus Salzburg |
1992 – 1993 |
Beratende Tätigkeit „Schwangere und Mütter in Not“ |
1994 – 2003 |
Ärztin für Obdachlose in Berlin |
1997 |
Verleihung des Bundesverdienstkreuzes durch Roman Herzog |
1997 |
Reise nach Peru. Jenny De la Torre wird zur Ehrenbürgerin ihrer
Heimatstadt Nazca ernannt |
1998 – bis jetzt |
Lehrauftrag als Gastdozentin am Institut für Sozialmedizin,
Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité Berlin |
2007 – bis jetzt |
Lehrauftrag als Gastdozentin an der Charité - Universitätsmedizin
Berlin, Humanmedizin, Kurs „The Profession of Medicine“ |
2002 |
Botschafterin für das „Verbundnetz der Wärme“, eine ostdeutsche
Initiative zur Unterstützung ehrenamtlicher Tätigkeit |
18.09.2002 |
„Goldene Henne“ Medienpreis der Super Illu in der Kategorie Charity |
12.12.2002 |
Gründung der Jenny De la Torre-Stiftung in Berlin. Ziel der
Stiftung: niedrigschwellige und unbürokratische medizinische Hilfe und
Betreuung für obdachlose Menschen in Berlin |
2005 – bis jetzt |
Gastdozentin im Bildungszentrum für Pflegeberufe der DRK-
Schwesternschaft Berlin e.V. |
2004 – 2006 |
Aufbau und Eröffnung des „Gesundheitszentrums für Obdachlose“ in
Berlin |
30.11.2006 |
Großer Verdienstorden des Diplomatischen Dienstes der Republik Peru
„José Gregorio Paz Soldán“ |
2006 – bis jetzt |
Ärztin in der Arztpraxis und Leiterin des „Gesundheitszentrums für
Obdachlose“ in Berlin |
16.05.2010 |
Verleihung der Ehrendoktorwürde der Charité – Universitätsmedizin
Berlin |
20.10.2011 |
CharityAward 2011 / SpringerMedizin in Berlin |
30.04.2013 |
Louise-Schroeder-Medaille 2013 |
06.03.2015 |
Carola Gold Preis 2015 |
08.05.2015 |
Deutscher Stifterpreis 2015 |
Ehrungen
1997: Bundesverdienstkreuz durch Roman Herzog
1997: Ehrenbürgerwürde ihrer Heimatstadt Nazca
2002: Botschafter für das Verbundnetz der Wärme
2002: Goldene Henne
2006: Großer Verdienstorden des diplomatischen Dienstes der Republik Peru
2010: Ehrendoktorwürde der Charité
2011: Charity Award
2013: Louise-Schroeder-Medaille
2015: Carola Gold Preis 2015
2015: Deutscher Stifterpreis 2015